Ein tiefer Seufzer verließ ihre Kehle, während sie durch die Terrassentür nach draußen in das triste Wetter starrte. Die Regentropfen klatschten gegen die Scheibe und die Witterung passte zu ihrer trüben Stimmung.
»Mama, was ist denn mit Lissy? «, fragte das kleine Menschenkind seine Mutter. »Ist sie krank?«
»Ja, bin ich«, wollte Lissy zu gerne rufen. »Krank vor Kummer.« Stattdessen verließ nur ein leises »Wuff« ihr Maul.
»Ich denke nicht, mein Schatz. Du weißt doch, dass sie keinen Regen mag.« Die Mutter streichelte ihrem Kind über dem Kopf und Lissy winselte leise. Sie wollte auch getröstet und gestreichelt werden, doch die Menschen schienen sie nie oder falsch zu verstehen. So auch jetzt.
»Aber vielleicht muss sie einfach mal. Lass sie doch bitte in den Garten.«
Eigentlich wollte sie nicht hinaus, aber noch schlimmer als das heutige Wetter, war der Tag an sich: Valentinstag.
Schon heute Morgen hatte der Vater der Familie der Mutter zum Valentinstag einen riesengroßen Blumenstrauß überreicht. Lissy hatte immer noch den entzückten Ausruf in den Ohren und sie sah noch die verliebten Blicke, die sich die Menschen zugeworfen hatten. Sie wusste, dass nachher die Oma auf das Menschenkind aufpassen würde, damit Lissys Besitzer den Tag noch in einem schicken Restaurant feiern konnten. Sie schlüpfte durch die geöffnete Tür nach draußen. Regen prasselte auf sie hinab und rann ihr ins Fell. Mit hängenden Ohren lief sie zu der Ecke unter dem Holunderstrauch, wo der Zaun ein kleines Loch hatte und sie zu dem Nachbargrundstück hinüberschauen konnte. Traurig sah sie zu dem Haus, wo an den Fenstern keine Gardinen mehr hingen. Auch die Bank, die unter dem Apfelbaum gestanden hatte, war fort.
Lissy konnte sich noch ganz genau erinnern, als sie vor zwei Jahren an exakt dieser Stelle geschaut hatte, was nebenan für ein Krach war. Fasziniert hatte sie zugesehen, wie Kartons auf der Terrasse standen, Kinder durch den Garten rannten und eine Frau immer wieder mit einem der Pappbehälter nach drinnen ins Haus verschwand. Lissy war so gebannt gewesen, dass sie Basko nicht hatte kommen sehen. Der Kerl war von der einen Sekunde auf die andere direkt vor ihr aufgetaucht und hatte sie verbellt »verschwinde vom Zaun und lass meine Familie in Ruhe!!«, dass sie einen Schritt zurückgetaumelt und vor Schreck gejault hatte.
Dieser blöde Kerl! Danach hatte sie diesen Zaunabschnitt gemieden, bis sie sich irgendwann einmal im Park zufällig getroffen hatten.
»Du bist doch die Kleine von nebenan«, hatte der ungehobelte Kerl das Gespräch begonnen.
Lissy dagegen hatte den Kopf weggedreht und ihn ignoriert. Mit Schrecken hatte sie allerdings mit anhören müssen, dass sich die beiden Menschenfrauen schon für den nächsten Tag wieder verabredeten.
Seit dieser Begegnung waren sie regelmäßig zusammen spazieren gegangen. Sie hatte ihn immer mit Schweigen gestraft und war Ihrer Wege gegangen. Bis zu jenem Tag, als sich plötzlich ein großer Schäferhund auf Lissy, die Cockerspaniel-Dame, stürzte. Der andere Hund hatte sie zu Boden gerissen, die Pfoten auf Ihre Brust gestellt und sie hatte schon die Zähne an Ihrem Hals gespürt. Lissy dachte, Ihr letztes Stündlein hätte geschlagen, bis mit einem Mal das Gewicht von Ihrem Körper weg war und sie aus dem Augenwinkel sah, wie Basko, der Rottweiler-Nachbarshund, den Schäferhund packte.
»Danke«, hatte Lissy kleinlaut und beschämt auf dem Heimweg gesagt.
»Keiner vergreift sich an meiner Kleinen«, hatte er schlicht gesagt und sich in Ihr Herz katapultiert.
Seit dem Tag waren sie unzertrennlich und Ihr geheimer Treffpunkt war die Ecke unter dem Holunderstrauch am Zaun.
Heute vor einem Jahr hatte Basko Ihr am Valentinstag seinen Kauknochen durch den Zaun geschoben und auf dem Spaziergang seine Leckerlies nicht nur, wie er es sonst tat, mit Ihr geteilt, sondern Ihr fast alles abgegeben. Und dann hatte er anscheinend von den Menschenmännern abgeschaut, wie diese Ihren Frauen Blumen schenkten, und Lissy am späten Nachmittag eine einzelne dunkelrote Rose durch den Zaun gesteckt.
Lissy konnte zwar nicht viel mit Blumen anfangen, aber sie hatte wirklich gut gerochen. Sie hatte die Rose versteckt, und jeden Tag nach Ihr geschaut, bis sie irgendwann verwelkt und die ganzen Blütenblätter verloren hatte.
Jetzt lag kein Knochen am Zaun. Kein Basko war mehr dort. Die Familie war nach Weihnachten weggezogen und mit Ihr der stattliche Rottweiler.
Die kleine Hündin stieß die Luft aus, drehte sich herum und war schon auf dem Weg zum Haus, als sie Türenschlagen von der Straße her hörte. Sie spitzte die Ohren, doch danach blieb es wieder ruhig und sie ließ wieder die Ohren und den Kopf hängen.
»Warte doch«, hörte sie auf einmal eine Stimme, die Ihr nur allzu bekannt vorkam.
Lissy blieb stehen und lauschte.
»Hierher«, hörte sie wieder, die bekannte, weibliche Stimme.
Die Cockerspaniel-Hündin flitze nach vorne, dass ihre Ohren nur so flogen. Aufgeregt sprang sie an dem niedrigen Zaun hoch und legte die Pfoten darauf.
Tatsächlich!
Diese Menschenfrau kannte sie! Und auch die Kinder, die jetzt ausstiegen und freudig zur Haustür des Nebenhauses rannten. »Juhuuu! Endlich wieder hier!« Nur jemanden ganz Bestimmten sah sie nicht …
Lautes Gebell ließ sie herumwirbeln und so schnell, sie Ihre kurzen Pfoten trugen, raste sie zu Ihrer Ecke. Zu Ihrer und Baskos Ecke!
»Basko«, jubelte sie außer Atem.
»Lissy!«, sagte er voller Zuneigung und drückte seinen Kopf gegen den Zaun. Dann trat er einen Schritt zurück und schob einen Kauknochen durch den Maschendraht. »Für dich, meine Kleine. Happy Valentin.
(Verfasser unbekannt)